“Bahnhof Hotel Schneefernerhaus” steht noch in großen Lettern an der Wand. Aber den Schriftzug bekommt kaum mehr jemand zu sehen. Nur einmal im Monat rollt noch ein Versorgungszug der Bayerischen Zugspitzbahn in den Bahnhof im Keller des Schneefernerhauses.
Mehr als eine halbe Million Menschen sehen jährlich das aluminiumsilbern glitzernde zweithöchste Gebäude der Bundesrepublik. Seit fast 30 Jahren allerdings nur aus der Entfernung. Die Älteren kennen es noch als Bergstation der Zugspitzbahn (bis 1989) und höchstes Hotel Deutschlands (bis 1991). Und nicht wenige fragen sich: Was wird da wohl jetzt drin stattfinden?
Die Wissenschaftler wünschen sich mehr Beachtung
Kurz gesagt: Das Schneefernerhaus beherbergt heute keine Urlauber mehr, sondern Forscher. Seit 1999 ist es eine Umweltforschungsstation – wohl die prominenteste und sicher die höchste in Deutschland. Nächstes Jahr feiert sie 20-jähriges Jubiläum. Aber erst in neuester Zeit öffnet sich die kurz UFS (für Umweltforschungsstation Schneefernerhaus) genannte Einrichtung der Öffentlichkeit. Die Wissenschaftler wünschen sich eben mehr Beachtung ihrer Projekte.
Neuerdings gibt es sogar eine PR-Dame: Dr. Inga Beck führt angemeldete Gäste durchs Haus. Allerdings sind das vorwiegend Studenten und Schüler. Ganz normale Interessenten können sich einmal monatlich über die Volkshochschule anmelden.
Sieben Stockwerke für die Forschung – 2650 Meter über dem Meer
Dann öffnet sich für sie wie sonst nur für die Forscher die Tür zur modernen Kleinkabinenbahn ab dem Gletscherbahnhof Sonnalpin. Oben steht schon Inga Beck und bietet jedem gleich das Du an – nicht nur unter Skilehrern gibt es oberhalb von 1000 Metern kein Sie mehr.
Und schon flitzt die drahtige 34-Jährige vor ihren Gästen die Treppen zwischen den sieben Stockwerken rauf und runter. Die Luft geht ihr dabei nicht aus, sie reicht sogar noch, zwischen zwei Geschossen die Geschichte des Hauses zu referieren: 1999 haben sich zehn Konsortialpartner zusammengetan, von den beiden Münchner Universitäten über das Helmholtz Zentrum bis zum Deutschen Wetterdienst.
Jeder kann sich mit seinem Forschungsprojekt bewerben
Jede der zehn Einrichtungen forscht hier oben in ihrem Bereich. Daneben kann jeder andere Wissenschaftler beliebigen Forschungen nachgehen, wenn er sein Anliegen vorgetragen hat und die Zusage erhält. Dazu stehen 30 Schreibtische in einem großen “Wechselnutzerlabor”. Angestellt sind im Schneefernerhaus gerade mal neun Personen, und darunter ist kein einziger Forscher. Die neun stellen die Infrastruktur, schaufeln die Instrumente frei von Schnee oder verscheuchen auch mal eine Krähe, die auf dem Messgerät sitzt.
Geforscht wird zu allem, wozu die Höhenluft hilfreich ist: zum Klimawandel, zu Allergien, aber es war auch schon eine Kaffeeautomatenfirma da, die hier geprüft hat, wie der Kaffee aus ihren Automaten schmeckt. Das ist relevant, weil der Luftdruck sehr ähnlich ist wie in Flugzeugkabinen.
Wer mag, kann hier sogar seinen Geburtstag feiern
Schließlich ist das Schneefernerhaus auch noch ein Tagungszentrum. Es gibt immer noch 45 Betten und einen Tagungsraum (das ehemalige Restaurant). Wer mag, kann hier sogar seinen Geburtstag feiern. Allerdings ist keinerlei Gastronomie da. Auch die Wissenschaftler fahren meist zum Mittagessen die drei Minuten mit der Gondelbahn hinunter zum Sonnalpin.
Viele Forscher kommen nur einmal jährlich und begnügen sich ansonsten mit den live übertragenen Daten von der Zugspitze. Aktuell wird auf dem Schneefernerhaus viel Medizinforschung betrieben, etwa zu Mukoviszidose und Asthma. Im Mittelpunkt steht dabei stets die Frage, ob Veränderungen von Höhe oder Druck den Menschen Verbesserung oder Linderung verschafft.
Ein Tunnel geht 800 Meter weit nach Österreich
Um die Erderwärmung geht’s natürlich auch, so z.B. in dem Tunnel, der einst die Tiroler Zugspitzbahn und das Schneefernerhaus verband. 800 Meter lang sind die Skifahrer früher da durchgelaufen, und auf halber Strecke saß ein Grenzer – angeblich Tag und Nacht. Heute ist der Tunnel für die Forscher spannend, weil er genau durch eine Permafrost-Linse führt. Für die Permafrost-Forscher der TU München ist das natürlich wie ein Sechser im Lotto. Wo kommt sonst schon in Halbschuhen zu einer Permafrost-Linse?
Viel wurde in den vergangenen 30 Jahren im Schneefernerhaus umgebaut, z.B. auch der runde Turm. Obendrauf rutscht heute ein Schlitten vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. Die Forscher folgen mit dem Schlitten ein paar Meter lang den hier häufig recht dichten Wolken und lassen Hochleistungskameras bis 30000 fotos pro Sekunde schießen, um die Tröpfchenbildung zu verfolgen.
Drei Viertel des Budgets zahlt der Freistaat Bayern
Geforscht wird weiter reichlich, vom Treibhauseffekt, den das Karlsruher Institut für Technologie von zwei Kuppeln aus mit grünen Laserstrahlen im Nachthimmel misst, bis zum Global Atmosphere Watch-Programm der Uno: Das Umweltbundesamt hat hier eine von weltweit nur 31 Stationen eingerichtet, an denen offiziell der Klimawandel dokumentiert wird.
Und wer zahlt für all das? Zu 75 Prozent ist es der Freistaat Bayern. Den Rest stemmen die Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen und der Landkreis.
Der Gletscher zu Füßen des Hauses: In zehn Jahren wird er weg sein
Diese Sponsoren interessieren sich vermutlich auch für den Gletscher zu Füßen der Forschungsstation – oder was davon übrig geblieben ist. Längst ist er in drei Teile zerbrochen, den südlichen und nördlicher Schneeferner und den Höllenkarferner. Kaum etwas zeigt den Rückgang so drastisch wie ein Plakat mit je einem Foto von 1890 und 2003.
Um die Jahrtausendwende versuchte man verzweifelt, den Gletscher abzudecken. Das hat man heute aufgegeben, stattdessen betreibt die Bayerische Zugspitzbahn in großem Stil Snowfarming: Pistenraupen schieben das begehrte Weiß am Saisonende zu großen Haufen zusammen und formen daraus im nächsten Herbst die neuen Pisten.
Vor 130 Jahren wäre das noch nicht nötig gewesen: Damals bedeckte der Gletscher imposante 370 Hektar, heute sind es gerade mal noch 39, und in zehn Jahren wird der Schneeferner wohl ganz weg sein.
(hwr)
Die Zugspitze im Web-Viewer von „Schnee und mehr – Der Skiatlas“: Garmisch-Partenkirchen
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