Freeriden im Corona-Winter: Auch Sicherheit geht digital

Donnerstags kurz vor 18 Uhr. Angela Römer öffnet die digitalen Türen zu den Kursen des Lawinencamps Bayern. Präsenzveranstaltungen sind im Corona-Winter nicht erlaubt, doch weil bei geschlossenen Wintersportgebieten das Tourengehen einen noch größeren Boom erlebt, als er sich in den vergangenen Jahren ohnehin schon abzeichnete, hat sich Alexander Römer dazu entschlossen Online-Intensiv-Kurse anzubieten, um zumindest das wichtigste theoretische Rüstzeug zu vermitteln. Denn dass die verschneite Landschaft nicht nur sportliche Betätigung in einem Umfeld wie aus dem Bilderbuch verspricht, sondern auch Gefahren birgt, ist vielen nicht bewusst, die mit Schneeschuh, Ski oder Splitboard in die Berge ziehen. Die gilt es möglichst gut einzuschätzen, um sie weitestgehend minimieren zu können.

Zaghaft habe er mit zehn Teilnehmern begonnen und sich mit Technik und Resonanz schnell so wohl gefühlt, dass er sich mittlerweile mit jeweils 30 Eleven zum digitalen Lawinenkurs am Bildschirm versammelt, um zumindest in der Theorie die Sportler für‘s Erste fit zu machen. Zwei Stunden geht es um Ausrüstung und Planung, um grundlegende Fragestellungen und Möglichkeiten, das Gehörte weiter zu vertiefen. Mehr Leute wären technisch möglich, doch dann würde die Interaktion leiden, die dem leidenschaftlichen Bergsportler wichtig ist, weil er auf jeden einzeln eingehen möchte. Und weil er weiß, dass man gerade durch Fragen, und seien sie vermeintlich noch so dumm, am meisten lernt.

Die größte Gruppe seiner digitalen Schüler ist zwischen 20 und 30 Jahre alt. „Drum herum gibt‘s alles.“ Auch mal Acht- und Zehnjährige, die mit den Eltern im Meeting sitzen und die er entsprechend einbezieht. Vorab bekommen die Teilnehmer, die nicht nur aus Bayern, sondern auch aus Italien, Hamburg oder der Schweiz kommen, allgemeine Informationen von der Notfallausrüstung über statistische Zahlen und empfohlene Links und Apps bis zur Checkliste vor der Tour. Am Kursabend, an dem sich Römers Frau Angela um die Rundum-Organisation kümmert, geht es mit vielen praktischen Fallbeispielen aus 15 Jahren Lawinenkurse in medias res. Auf Basis von Werner Munters Klassiker „3×3 Lawinen“ lernt man sich ein Gerüst zu erarbeiten, um dann vor Ort mit der „Snowcard“ weitere Entscheidungen zu treffen. Wer weiß, wie er das richtig tut, habe gute Chancen, wohlbehalten wieder ins Tal zu kommen. Dafür zitiert Römer eine Auswertung von 185 tödlichen Lawinenunglücken in Schweiz und Österreich: „95 Prozent hätten vermieden werden können, wären die Verunglückten im grünen Bereich der Snowcard geblieben.“ Es gilt Berg und Natur zu verstehen und sensibel zu handeln und das beginnt nicht erst mit der Beurteilung vor Ort. „Wichtig ist es, schon zu Hause bei der Planung die Lage einzuschätzen.“

Kurzweilig ist der Abend mit vielen praktischen Fallbeispielen aus 15 Jahren Lawinenkursen und vielen mehr als leidenschaftlicher Alpinist, der sich selbstkritisch erinnert, wie er als junger Gebirgsjäger „einfach nur in die Berge wollte.“ Natürlich könne so ein Online-Lawinenkurs einen Präsenzkurs nicht ersetzen. Aber er sei ein guter Schritt aufzuzeigen, dass man nicht einfach losrennen kann. Er könne helfen, Grenzen richtig zu setzen und Alarmzeichen zu erkennen und eine Basis legen, um in einem Kurs am Berg die Theorie zu vertiefen, wenn Corona das wieder zulässt. Denn im Gelände das Lawinenverschüttetensuchgerät richtig zu bedienen, mit der strohhalmdünnen Sonde in der gebotenen Eile einen Verschütteten zu finden und den aus festgepresstem Schnee zu schaufeln, fühlt sich ganz anders an, als man es nach der Theorie vermutet.

Die veranschlagten zwei Stunden vergehen schnell. Das sei typisch, sagt Römer, der sich freut, dass seine Klientel überwiegend hoch motiviert ist. Eines aber gehört zwingend zum Kurs, auch wenn der dafür in die Overtime müsste. Kartenlesen. „Um sicher in den Bergen unterwegs zu sein, muss man Karten lesen können“, sagt er. „Sich allein auf eine App zu verlassen ist viel zu gefährlich“ bläut er seinen Gruppen ein. Was, wenn kein Netz ist oder die Kälte das Aku leert? Nur wer Linien und Farben auf der Karte lesen und einordnen könne, erhalte daraus wertvolle Informationen zum Gelände. Und das könne in den Bergen nicht nur in Sachen Lawinengefahr lebensnotwendig sein.

Die Online-Kurse des Lawinencamp Bayern finden donnerstags und samstags von 18 bis 20 Uhr statt. Voranmeldung ist obligatorisch. Vorab gibt es allgemeine Informationen von der Notfallausrüstung über statistische Zahlen und empfohlene Links und Apps bis zur Checkliste vor der Tour. So lange Lawinenkurse nicht vor Ort veranstaltet werden können, wird es auch über das ursprünglich geplante Ende hinaus Kurse geben. Die Teilnahmegebühr beträgt 20 Euro. Info und Anmeldung unter www.lawinenkurse.de

Fotos: Römer/Lawinencamp Bayern